Derzeit ist in Berlin in der neuen Nationalgalerie eine große Gerhard Richter-Schau zu sehen. Sie heißt Panorama und nicht etwa Retrospektive, denn Richter lebt ja noch und hat erst kürzlich seinen 80. Geburtstag gefeiert.
Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut, zeigt rund 130 Werke und beginnt mit einem Gemälde von 1962. Zu diesem Zeitpunkt war Richter 30 Jahre alt. Astrologisch hatte er die erste Saturn-Runde hinter sich gebracht und nach seinem Kunststudium in Dresden bereits einige Jahre erfolgreich als Künstler gearbeitet, allerdings in der DDR, die er 1961 wenige Monate vor dem Mauerbau verließ.
Die Gemälde aus der Zeit vor 1962 sind nicht im Werkverzeichnis aufgeführt, nur wenige sind erhalten. Richter soll sie teilweise verbrannt haben, seine Wandbilder in Dresden wurden nach der Republikflucht übermalt.
Natürlich stellt sich die Frage nach Hintergründen und es bleibt nicht die einzige Frage, die sich stellt, wenn man Gerhard Richters Werk im Kontext seiner Lebensgeschichte begegnet.
Gerhard Richter, 9. Februar 1932, 7.30 Uhr (MEZ), Waltersdorf, D
Datenquelle: persönliche Auskunft Alexander von Schlieffen
Vor dem Besuch der Ausstellung habe ich mich mit Richters Biografie und seinem Horoskop beschäftigt. Eine Geschichte aus seinem Leben hat mich dabei besonders berührt. Es ist eine Geschichte, die erst 2004 in ihrer ganzen Tragik sichtbar wurde. Und die danach ruft, familiensystemisch gedeutet zu werden. Gleichzeitig beleuchtet sie Schicksal, wie es die alten Griechen verstanden. Diese Geschichte führt uns erst einmal zurück, in Gerhard Richters Kindheit.
Eines der Bilder in der Ausstellung, es ist ein sehr berühmtes Gemälde, zeigt Richter als Säugling mit seiner Tante Marianne. Es ist exemplarisch für Richters Schaffen, denn es zeigt uns ein Foto von 1932, das per Raster realitätsgetreu auf die Leinwand übertragen wurde. Anschließend verwischte der Künstler die noch feuchte Ölfarbe. So entsteht dieser verschwommene Effekt, der als stilistisches Mittel gezielt eingesetzt wird. Im Horoskop sehen wir Venus und Mond im Zeichen Fische, dem Zeichen der Auflösung aller konkreten Formen.
Nun zur Geschichte von Tante Marianne, die 1945 als eines von 8000 Euthanasie-Opfern in der Anstalt Großschweidnitz umgebracht wurde. Marianne Schönfelder war 1938 „verrückt“ geworden, die Mutter veranlasste die Unterbringung in der Psychiatrie Arnsdorf bei Dresden. Die Ärzte in der Klinik diagnostizierten das sogenannte Spaltungs-Irresein als eine Erkrankung des schizophrenen Formenkreises.
Im Dezember 1938 wurde Tante Marianne im Auftrag des Klinikleiters Heinrich Eufinger zwangssterilisiert, wie unzählige andere Frauen im Zuge der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Ein grausames Schicksal, leider kein Einzelschicksal in der dunklen Zeit von 1933-1945.
Dieses beängstigende Schicksal der Tante wird zum Ausgangspunkt für seltsame Verstrickungen im Leben des Gerhard Richter. Sie beginnen 1951, dem Jahr, in dem der junge Künstler zum ersten Mal seiner großen Liebe „Ema“ begegnet, die eigentlich auch Marianne heißt. Sie ist die jüngste Tochter des Prof. Dr. Heinrich Eufinger – und Richter wird sie 1957 heiraten.
1968 kommt die gemeinsame Tochter Betty zur Welt. Sie wird am gleichen Tag wie Tante Marianne geboren, 49 Jahre später.
Gerhard Richter hat seinen Schwiegervater in Öl gemalt, so wie er viele Mitglieder seiner Familie porträtierte. Er weiß jedoch nicht, welche Schuld Heinrich Eufinger am Schicksal von Tante Marianne trägt. Erst 2004 wird das Geheimnis öffentlich. Ein Artikel im Berliner Tagesspiegel erzählt die Wahrheit „hinter den Dingen“. Auch der Künstler selbst erfährt erst jetzt alle Details seiner Familiengeschichte.
Die unzähligen Familienporträts, die Richter gemalt hat, erscheinen jetzt in einem neuen Licht. Sie sind nicht nur ständige Übung, die Porträtmalerei zur Vollkommenheit zu entwickeln, sie sind auch eine unbewusste Suche nach Wahrheit. Zum Zeitpunkt der Enthüllung transitiert Neptun über den Aszendenten in Richters Horoskop, ein Beispiel dafür, dass Neptun auch entschleiern – und nicht nur verschleiern kann.
Anmerkung
Die Geburtszeit verdanke ich meinem Kollegen Alexander von Schlieffen. Alexander ist Maler und Astrologe. Er hat Mitte der achtziger Jahre an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Gerhard Richter studiert.
Bildquelle: Foto Monika Meer