Inzwischen befinden wir uns in der sechsten Coronawoche. Abends, wenn ich einen Spaziergang im Viertel mache oder eine Runde mit dem Fahrrad drehe, sehe ich die leuchtende Venus, die immer noch hoch oben am Himmel steht, obwohl sie bereits am 24. März ihre maximale Elongation erreichte.
In diesen Tagen ist der Himmel über dem Ruhrgebiet so blau wie nie zuvor. Kein Kondensstreifen ist zu sehen, die Venus strahlt heller den je. Wer möchte, kann sie als ein Zeichen der Hoffnung sehen, dass diese Coronakrise nicht nur Furcht und Schrecken mit sich bringt, sondern auch eine Auszeit, in der sich die Natur von den Anstrengungen der letzten zweihundert Jahre erholt.
In vielen Gesprächen, Telefonaten, Mails und Videokonferenzen erlebe ich Menschen, die Angst haben, die verunsichert sind. Draußen vor der Tür herrscht eine merkwürdige Atmosphäre. Während in den ersten zwei Coronawochen eine Freundlichkeit und Achtsamkeit im Miteinander spürbar war, zeigt sich inzwischen eine latente Gereiztheit. Es sind eben doch nicht Coronaferien.
Welche Bedeutung hat Saturn in dieser Krise? Kann der alte „Übeltäter“ helfen, mit den schwierigen Umständen gut umzugehen? In Deutschland begann der Lockdown mit dem Morgen des 22. März. Am gleichen Tag wechselte Saturn für die nächsten Monate von Steinbock in den Wassermann.
Das Kontaktverbot, das je nach Bundesland unterschiedlich streng gehandhabt wurde, entspricht dem Saturn-Prinzip, ebenso das Absperren der Spielplätze und die vielen neuen Verbote, die erlassen wurden. Sinn und Zweck all dieser Regelungen ist der Schutz der Bevölkerung vor der Gefahr durch das „böse und unbekannte Virus“. Ob und wie sinnvoll all diese Maßnahmen sind, welche Konsequenzen aus dem Lockdown folgen? All das sind derzeit heiß diskutierte Fragen.
Schaffen die Regierungen mit einer Notstandsgesetzgebung unsere freiheitliche Demokratie ab? Oder sitzen wir Verschwörungstheorien aus dem rechten Lager auf, wenn wir den Zahlen der Virologen und Experten misstrauen und einzelne Maßnahmen übertrieben finden?
Die Diskussion in den sozialen Netzwerken bewegt sich weitestgehend zwischen Extrem-Positionen. Und sie wird – gelinde gesagt – wenig sachlich geführt. Hier scheint Pluto am Werk zu sein. DAS ist wahrlich nicht so schön! Doch Saturn kann uns helfen, im großen Meinungswirrwarr den Überblick zu behalten.
Saturn wirft uns nämlich auf uns selbst zurück. Er macht uns zu Einzelgängern und möchte, dass wir die Schuld für Missstände in unserem Leben nicht immer auf andere abschieben, sondern Verantwortung für uns selbst übernehmen, klare Entscheidungen treffen und daraus resultierende Konsequenzen tragen.
Wenn wir die aktuellen Einschränkungen und Begrenzungen, so mühselig und schmerzhaft sie auch sein mögen, als Chance sehen, haben wir bereits viel gewonnen. Denn Saturn hilft uns, auf der seelischen Ebene mehr Unabhängigkeit von äußeren Umständen und eine innere Stabilität zu entwickeln. Und dafür braucht es Zeit und Raum, die man sich allerdings auch nehmen muss, selbst auf die Gefahr hin, unbequemen Wahrheiten im eigenen Inneren auf die Spur zu kommen.
Zur Zeit fallen viele Ablenkungen weg: Kino, Theater, Lesungen, Treffen mit Freundinnen und Freunden, Kneipenabende, Fußballspiele, Großveranstaltungen wie die Cranger Kirmes, die Extraschicht im Ruhrgebiet oder Bochums großes Sommer-Musik-Festival Bochum Total… alles wird abgesagt und verschoben. Die dadurch entstehende Konzentration aber kann durchaus heilsam sein, wenn ich bereit bin, mich darauf einzulassen.
Weniger ist mehr oder „Reduktion auf Wesentliches“ sind die kurzen Formeln, die als Lernaufgabe in Saturnzeiten immer wieder genannt werden. Trotz wachsender Armut leben die meisten von uns auf materieller Ebene im Überfluss, so dass vieles von dem, was wir besitzen, nicht wertgeschätzt wird. Das große Stopp-Schild durch Corona kann hier zu einem Umdenken führen, dazu, dass wir uns wieder daran erinnern, was uns wirklich wichtig ist.
Gleichzeitig sorgt Saturn in der Coronakrise dafür, dass gesellschaftliche Schieflagen, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind, nun umso deutlicher zutage treten. Nur ein Beispiel ist die Situation im Gesundheitswesen. Die Privatisierung der Krankenhäuser und die daraus resultierende Sparmaßnahmen fallen uns gerade jetzt als Gesellschaft auf die Füße.
Die Luft über den Ballungszentren ist cleaner denn je. Überall erholt sich die geschundene Natur vom Raubbau der letzten Jahrzehnte. Es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen und wir als Individuen die richtigen Lehren aus dieser Zeit ziehen. Warten wir`s ab. Einstweilen wünsche ich allen Leserinnen und Lesern weiterhin viel Humor und Liebe, um gut durch diese bizarren Zeiten zu kommen.
P.S. im Mittelalter stand Saturn übrigens für die Melancholie, das Leiden an der Last des irdischen Daseins. Angesichts der aktuellen Umstände scheint es mir völlig normal, zwischendurch traurig und mutlos zu sein, Ängste zu haben oder zu entwickeln. Umso wichtiger ist es, sich immer wieder an die ganz persönlichen Quellen von Freude und Zuversicht zu erinnern.